Willkommen in Buchhaim
Eine Stadt, durchdrungen vom schweren Aroma antiquarischer Folianten und frischaufgebrühten Kaffees. Ein wahres Mekka für Bücherfreunde und Leseratten, die jeden Abend Dichterlesungen zur „Holzzeit“ zelebrieren und Schriftsteller mit an Religiösität grenzender Hingabe verehren. Dem dichtenden Lindwurm Hildegunst von Mythenmetz kommt es mehr als gelegen, dass ihn seine Suche nach dem Verfasser eines geheimnisumwitterten Manuskripts ausgerechnet nach Buchhaim verschlägt. Die romantischen Fassaden der Stadt bekommen jedoch schon bald Risse. Denn Hildegunst muss feststellen, dass Buchhaim nicht von der unschuldigen Liebe zur Literatur regiert wird, sondern von geldgierigen Agenten, skrupellosen Verlegern – und einer hochbrisanten Verschwörung. Doch diese hat längst beschlossen, den umtriebigen Lindwurm in die Katakomben unterhalb der Stadt zu verbannen – in das finstere Refugium der Buchlinge, Harpyren und Bücherjäger, das wahnsinnige Reich des Schattenkönigs.
Auf der Suche nach einem Phantom
„Die Stadt der träumenden Bücher“
ist der vierte Roman, der auf dem fiktiven Kontinent Zamonien spielt. Dieser
sagenumwobene Erdteil beheimatet bereits Helden wie einen gewissen Käpt’n
Blaubär, der uns allen aus unserer Kindheit bekannt sein dürfte. Mit dieser
Erzählung aus den Katakomben von Buchhaim trat jedoch erstmals der wahre Autor der
Zamonien-Romane in das Licht der Öffentlichkeit: Hildegunst von Mythenmetz, der
größte Schriftsteller des Kontinents. Walter Moers, so wurde endlich
ersichtlich, ist nur der Übersetzer der Mythenmetzschen Werke, keinesfalls ihr
Urheber. Ein Versteckspiel, das seit Erscheinen der „Stadt der träumenden
Bücher“ im Jahr 2004 konsequent eingehalten wird. Der auch als renommierter
Comic-Autor („Adolf“, „Das kleine Arschloch“) bekannte Moers meidet die
Öffentlichkeit und tritt völlig hinter seinem Alten Ego, dem so gar nicht
öffentlichkeitsscheuen Lindwurm, zurück. So kann es schon einmal vorkommen,
dass „Hildegunst von Mythenmetz“ Moers auf dessen facebook-Seite wegen seiner
stümperhaften Übersetzungen mit Häme überzieht – und dafür den Beifall der
Moers-Leser findet. Die Suche nach Walter Moers gestaltet sich ähnlich wie jene
nach dem Schattenkönig in der Dunkelheit der Katakomben. Es ist die Jagd nach
einem Phantom.
Eine fantastische Reise durch die Literatur
„Die Stadt der träumenden Bücher“
ist gleichzeitig Kern- und Meisterwerk der Zamonien-Reihe. Denn der Bericht des
Ich-Erzählers Hildegunst von Mythenmetz ist ein Glanzstück nicht nur der
phantastischen Literatur. Zugleich Märchen, Abenteuergeschichte, Schelmenstück
und Krimi, spielt der Roman voll diebischem Vergnügen mit literarischen Formen
und stellt immer wieder subtile Bezüge zu bekannten Vertretern der deutschen
Literaturgeschichte her. So beschwert sich Hildegunst etwa über die Dominanz
eines gewissen Ojahnn Golgo van Fontheweg, dem „Platzhirsch der zamonischen
Klassik“. Doch nicht nur Germanistikstudenten werden ihren Spaß daran haben,
die Rätsel und Anspielungen dieses Romans zu entwirren. Sein feiner Humor ist
seiner intensiven Sprachgewalt ebenbürtig und so ist es sicher keine gute
Empfehlung, im vollbesetzten Zug in diesem Buch zu schmökern. Denn während man
die komischen Szenen kaum ohne zumindest verhaltenes Gekicher lesen kann,
werden auch hart erprobte Vielleser nicht behaupten können, auf den letzten
Seiten die Fassung behalten zu haben. Wenn der Schattenkönig sein wahres
Antlitz zeigt und Hildegunst schließlich seinen Weg zum Dichtertum findet,
vereinen sich sämtliche der vielfältigen Romanmotive zu einer einzigartigen
Hymne auf die Literatur, die Kunst und das Leben.
Text: Katharina Stahl
Bild: Piper Verlag
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