Ein merkwürdig interessantes Buch mit eigenwilliger Erzählweise |
Syrien während des Bürgerkriegs 2013. Die Geschichte
besteht aus vier Teilen, welche durch zwei verschiedene Personen erzählt werden,
der eigentliche Autor tritt dabei nur als Herausgeber in Erscheinung. Der erste
und dritte Part wird von einem jungen Mann aus dem einfachen Volk verfasst, die
beiden anderen von der Frau eines Offiziers, der Rebellen und deren Angehörige
foltert: Am Anfang ist es etwas schwierig, sich in die Gedanken der Erzähler
einzufinden, da beide letzten Endes in ihrer passiven Hilflosigkeit und ihrer
Heimatstadt, die sich in einen gespenstigen Käfig verwandelt hat, gefangen
sind. Die sehr hektische Erzählweise – viele Wörter, wenig Satzzeichen und
damit wenig Ruhe vor dem Bombardement durch die Schreckensbilder eines
zerstörten Landes - ist von der Angst und
dem gleichzeitigem Versuch, aus dem Wahnsinn doch irgendwie einen Alltag zu
gestalten, geprägt. Dadurch erkennt der Leser nur langsam die Zusammenhänge und
versteht die Geschichte erst allmählich anhand der Details, welche sie vom
einen zum anderen Erzähler tragen.
Scheinbar sinnlose Inseln von Banalem als Rettungsanker der Erzähler
So wird der erste Part aus der Sicht eines jungen Mannes
beschrieben, dessen Bruder sich, wie man im Laufe der Ereignisse langsam
erahnt, den Rebellentruppen angeschlossen hat, die gegen Machthaber al-Assad
kämpfen. Um den Aufenthaltsort des Bruders herauszufinden, werden nacheinander
die junge Schwester, der Vater und schließlich der Erzähler selbst von den
Schergen des „bösen, bösen Mannes im Palast“ entführt und gefoltert. Gerade die
furchtbar beiläufige Erwähnung dieser Ereignisse, deren Brutalität sich immer
mehr steigert und die vom Erzähler als Alltag akzeptiert werden – den Schmerz
und die Demütigungen empfindet er als nicht mehr auf sich selbst bezogen –
zeigen dem Leser, wie sinnlos und brutal dieser Krieg vor allem zu den Menschen
ist, die eigentlich nichts damit zu tun haben und nur irgendwie (über)leben
wollen.
Beide Erzähler versuchen sich noch im Folterkeller
beziehungsweise nach dem Tod, an Kleinigkeiten in ihrem Elend festzuhalten, um
nicht komplett wahnsinnig zu werden. Stellenweise scheint jedoch die Angst und
das Elend ihrer Stadt überhand zu nehmen, wie der Leser an sich wiederholenden,
eigentlich sehr nebensächlichen Informationen (Gefährlichkeit des Rauchens, Rezept
usw.) deutlich merkt, von denen die eigentliche Geschichte vor allem anfangs
oft unterbrochen wird. Diese scheinbar sinnlosen Inseln von Banalem fühlen sich
jedoch immer mehr wie ein nur scheinbar trivialer Rettungsanker der Erzähler in
einem zerstörten und in sich zerrissenen Land und Alltag an und zeugen von den
kleinen geistigen Aussetzern der beiden, wenn das Grauen in ihren Leben
überhandnimmt.
Ein besonders seltsamer Aspekt des Buchs ist, dass der
vierte Part von seiner Erzählerin nach deren Tod verfasst wird: Der Bruder des
ersten Erzählers, der sich den Rebellen anschloss und dessen Familie vom Mann
der zweiten Erzählerin gefoltert wurde, tritt hier zum ersten Mal auf ziemlich
einschneidende Art und Weise in Erscheinung…
Keine nette Gute-Nacht-Lektüre
Insgesamt ein merkwürdig interessantes Buch, dessen
eigenwillige Erzählweise auf sehr beklemmende und eindrucksvolle Art die Schrecken
eines Kriegs nahe bringt, bei dem der Herrscher gegen sein eigenes Volk kämpft.
Der Wahnsinn lauert hier hinter vielen Ecken, keine der beiden Seiten scheint
besonders viel Wert auf Menschenleben zu legen, jeder Tag könnte der letzte
sein, das sinnlose Warten drückt schon dem Leser als bloßem Beobachter der
Situation stark aufs Gemüt und vor allem: eine Verbesserung der Lage für die
normale Bevölkerung ist nicht in Sicht, ganz im Gegenteil.
Das Buch ist also bei weitem keine nette
Gute-Nacht-Lektüre, sondern regt zum Nachdenken an und zeigt auch, wie schnell
ein vermeintlich alltägliches Leben zerstört werden kann und wie kostbar der
Frieden, den wir als Normalzustand erachten, eigentlich ist.Text: Valeria Bopp
Bild: Scribo Verlag
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