Fesselnd und abrgrundtief
Juli Zehs Nullzeit wird zum beklemmenden Rätsel um Lüge und Wahrheit
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Fesselnder Psychothriller über eine verhängnisvolle Dreiecksbeziehung |
Taucht man mit einem Druckluftgerät,
wird der Stickstoff in der Atemluft vom Gewebe und dem Blut des Tauchers
aufgenommen. Umso höher die Tauchtiefe und somit der Umgebungsdruck, umso mehr
Stickstoff löst sich im Körpergewebe. Kommt der Taucher zu schnell an die
Oberfläche zurück, hat dies den gleichen Effekt, wie bei einer geschüttelten
Mineralwasserflasche, die geöffnet wird. Der Tod kann Folge sein.
Die Nullzeit ist die Zeitspanne, die ein
Taucher unter Wasser bleiben und anschließend ohne Pause zurück an die Wasseroberfläche
kehren kann. Den Namen dieses Phänomens trägt Juli Zehs Roman Nullzeit.
Seltsame
Charaktere
Die Schauspielerin Jolante Augusta
Sophie von der Pahlen, die lieber Jola genannt werden möchte, ist mit ihrem
Lebensgefährten Theo Hast nach Lanzarote gekommen, um sich auf ein Casting
vorzubereiten. Sie möchte die Rolle der Lotte Hass bekommen, der berühmten
Tauchpionierin, und sieht dies als letzte Chance, sich im Spielfilmbusiness zu
etablieren. Theo ist Schriftsteller. Veröffentlicht hat er schon lange nichts
mehr. Auf Jola sieht er herab, behandelt
sie schlecht. Sie ihn aber auch. Ein seltsames Paar, bei dem keiner so richtig
durchsteigt.
Sven, gescheiterter Jurist – und zwar
nicht an schlechten Noten, sondern an boshaften Professoren – lebt gemeinsam
mit Antje auf der Insel. Die beiden führen eine Tauchschule und ein ruhiges
Leben – bis Jola und Theo auftauchen. 14.000 Euro zahlen sie Sven für eine
Rundumbetreuung. Nicht nur Tauchunterricht gibt es dafür, sondern auch 24/7
Chauffeurservice, Inselführungen und Abendbegleitung inklusive.
Folgenschwere
Dreiecksbeziehung
Aus einem harmlosen Flirt Jolas mit
Tauchlehrer Sven entwickelt sich eine folgenschwere Dreiecksbeziehung. Der hat
Deutschland verlassen und will sich nicht in fremde Probleme einmischen. Das
klappt bei dem irren Künstlerpaar so nicht. Nun wird er in einen Strudel aus
Wahrheit und Lügen, Tätern und Opfern hineingezogen, gegen den er nicht mehr
ankommt. Ein mörderisches Spiel, in dem er vom Zeugen zum Mitschuldigen wird,
nimmt seinen Lauf.
Ein
beklemmendes und kaltes Gefühl bleibt
Geschickt stellt Juli Zeh die
Erinnerungen des Tauchlehrers Sven den Tagebucheinträgen Jolas gegenüber. Was
sich anfangs noch die Waage hält, wird für den Leser zum großen Rätsel um Wahrheit
und Lüge. Immer mehr driften die Berichte von Jola und Sven auseinander, bis am
Ende kein einziges Detail mehr zueinander passt. Man stellt sich unweigerlich
die Frage, wer der beiden sich seine Lügen zusammenfantasiert und wer die
Ereignisse unverfälscht wiedergibt. Automatisch wird der Leser auf eine Seite
gezogen, doch am Ende ist man sich auch hier nicht mehr sicher, ob man dem
Richtigen Glauben geschenkt hat. Der Roman lässt ein beklemmendes und kaltes
Gefühl zurück, wie es typisch für die Autorin ist.
Geschickte
und durchdachte Komposition
Juli Zeh hat hier einen fesselnden und
aufregenden Roman vorgelegt, der durch seine geschickte und durchdachte
Komposition besticht. Ist man erst einmal über den Wendepunkt der Geschichte
hinaus, fällt es schwer ihn wieder niederzulegen. Die Neugierde, die von einem
unguten Gefühl getragen wird, lässt dem Leser keine Ruhe und treibt ihn zum Weiterlesen
an. Nicht verwunderlich also, wenn man alles um sich herum stehen und liegen
lässt, um den Ausgang der kuriosen Dreiecksbeziehung zu erfahren. So ganz
zufrieden lässt das Ende einen aber nicht zurück. Noch eine Weile wird man über
das Gelesene nachdenken und sich die Frage nach der Wahrheit stellen.
Ganz typisch für die Autorin werden auch
in Nullzeit wieder Chaos und Ordnung
gegenüber gestellt. Bekannt ist diese Konstellation bereits aus Romanen wie Spieltrieb oder Corpus Delicti. Die beiden Antagonisten stehen im krassen Gegensatz
und der Roman stellt wie gewohnt Fragen zu Neuaufbau von Sinn und Moral, wenn
tradierte Werte zur Bedeutungslosigkeit geworden sind.
Die
Juristin kann es nicht lassen
Wie auch andere Werke
von Juli Zeh ist Nullzeit von Juli
Zehs Werdegang geprägt. Bei der politisch engagierten Juristin, die ihr
literarisches Zweitstudium in Leipzig absolvierte, werden immer wieder
rechtliche Problematiken zum Thema gemacht. Auch hier, wo man es eigentlich
nicht mehr erwartet, überrascht das Ende nicht nur mit einem Mord, sondern auch
mit dessen etwaigen juristischen Konsequenzen. Hieraus resultiert letzten Endes
auch die spannende Form der Gegenüberstellung von Tagebucheinträgen und
Erinnerungen. Juli Zeh kann einfach nicht von ihrer juristischen Denkweise lassen.
Das tut diesem fesselnden und abgrundtiefen Werk jedoch keinen Abbruch.
Text: Beatrice Kennepohl
Bild: Schoeffling & Co Verlag