Die Doktorandin Sarah Merkle-Schneider sprach mit Max und Julius über ihr Indologiestudium, ihre Indienfaszination und warum man manchmal zwischen den Welten steht.
Max&Julius: Wie kam es
überhaupt zum Indologie-Studium?
Sarah Merkle-Schneider: Das ist eine
gute Frage! Am Anfang stand vor allem Interesse, Faszination am Land und eine
Art von – das hört sich jetzt etwas melodramatisch an – Fernweh. Ich war immer sehr interessiert an
allem außereuropäischen und als ich mir dann überlegt hatte, was ich alles
studieren könnte gab es dann bei vielen Fächern etwas, bei dem ich dachte
„nein, das interessiert mich doch nicht, interessiert mich doch nicht“. Bei
Indologie habe ich mir dann gedacht, ich probiere das einfach mal aus, eine
Freundin hatte mir davon erzählt, und ja, ich bin dabei geblieben.
Sarah Merkle-Schneider (rechts) forscht für ihre Promotion über Transgender-Identitäten in Indien |
M&J: Was ist denn
das Thema deiner Doktorarbeit?
Sarah: Das Thema ist
relativ speziell, es geht um Transgender-Identitäten, Mann zu Frau
Transgender, am Beispiel einer sehr
kleinräumigen, im Norden Karnatakas angesiedelten Tradition. Das heißt, es geht
um Personen, die in einem männlichen Körper geboren sind und sich aber in ihrer
Pubertät oder im Laufe ihres Lebens weiblich identifizieren und schließlich in
eine Art Verehrungsdienst für die
südindische Göttin Ellamma eintreten. Als Teil dieser Traditionen legen die
Verehrer dieser Göttin dann weibliche Kleidung an, lassen sich die Haare lang
wachsen und tragen Schmuck, wie eine indische Frau.
M&J: Und das hat
mit der Verehrung dieser Göttin zu tun?
Sarah: Genau, wenn
man nachfragt wie das alles kam, bekommt man ganz viele Antworten, aber eine
Antwort wiederholt sich immer wieder, nämlich dass die Göttin sie ausgesucht
und „sie so gemacht hätte“. Die
Göttin fährt in sie ein, lässt sie weiblich fühlen und verhalten und fordert,
dass diese Personen dann in ihren Dienst eintreten, sich initiieren lassen, und
sie in einer priesterähnlichen Funktion besonders intensiv verehren und als
Vermittler zwischen der Göttin und den nicht initiierten Verehrern eintreten.
Eine Figur der Göttin Ellamma, die die Transgender-Männer verehren |
M&J: Und du
erforschst wie es dazu kam oder wie kann man sich das vorstellen?
Sarah: Mein
Ausgangspunkt ist der ländlich geprägte Norden des südindischen Bundesstaates
Karnataka, um es etwas platt zu sagen das Dorf, denn hier leben die meisten
dieser sogenannten Jogappas oder Jogammas. Da es kaum historische Quellen zu
diesem Thema gibt, basiert meine Arbeit vor allem auf Feldforschung und der
Analyse von aktuellen Entwicklungen und Diskursen. Welche Diskurse finden
beispielsweise in der global orientierten LGBT-community von Bangalore,
Karnatakas Hauptstadt, statt und was passiert mit dem Selbstverständnis der
religiös und ländlich geprägten Jogappas, wenn von Bangalore aus organisierte
NGOs in Nordkarnataka arbeiten und ihre Erklärungen von transgender
„mitbringen“; eine westlich „modern“ geprägte Erklärung kennt eben keine
Göttin, die eine übergeordnete Macht ausübt. Das ist aber nur ein Aspekt unter
vielen, die ich untersuche.
Sogar in Bussen findet man Figuren der Göttin Ellamma |
M&J: Und nochmal
eine ganz essentielle Frage: Warum überhaupt Promotion?
Sarah: Ich muss ganz ehrlich zugeben, dass es das Thema ist, das mich reizt. Ich
finde die Arbeit mit den Leuten vor Ort auch sehr bereichernd und es macht mir
viel Spaß.
M&J: Und welche Möglichkeiten bieten sich Absolventen der Indologie in
Deutschland überhaupt?
Sarah: Unsere momentanen MA Absolventen sind zum Beispiel in Verlagen
untergekommen, an Universitäten im Bereich Diversity Managment, auch im Bereich
Tourismus als Reiseleiter, in Museen, klassisch wäre in der Forschung zu
arbeiten. Sonst natürlich alles, was mit Interkulturalität, mit Kulturarbeit
und Sprachen zu tun hat.
M&J: Gibt es eigentlich Freundschaften in Indien?
Sarah: Vor allem während meiner Feldforschungsaufenthalten habe ich Kontakte und
Freundschaften aufgebaut. Schön ist auch, wenn von indischer Seite auch
Interesse an Deutschland besteht; ein
Freund aus Karnataka hat, anfangs rein aus Interesse, Deutsch studiert und
mittlerweile häufig wegen seiner Arbeit für Mercedes nach Deutschland, das ist
immer sehr nett. Die Freundschaften, die sich auf Dorfebene ergeben, sind
natürlich ganz andere; vor allem wenn ich in Deutschland bin, ist es ein
Spagat, den ich hinlegen muss, um die Kontakte aufrecht zu erhalten. Im Dorf,
die dortige Vorstellung von der Welt ist doch schon sehr anders. Aber es
ist mir wichtig diese Freundschaften aufrecht zu erhalten.
M&J: Hast du dir etwas aus Indien mitgenommen?
Sarah: Das ist sehr vielfältig gerade, wenn man nicht als Tourist dort hin
fährt. Ganz augenscheinlich sind die Dinge im Alltag: Gewürze in der Küche,
kleine Götterfigürchen. Was aber Entscheidender sind aber persönliche
Entwicklungen die man vor allem während Feldforschungsaufenthalten durchmacht,
aber auch die Fähigkeiten, die man mitnimmt: man wird unkomplizierter,
flexibler, entwickelt vor allem während der Feldforschung ein gewisses
Selbstbewusstsein ohne welches man in Indien oft aufgeschmissen wäre, man lernt
in verschiedensten, oft extrem fremden Gruppen zu kommunizieren, versteht
besser welche Probleme Inder hier in Deutschland mit der hiesigen Mentalität
haben und warum ein soziales Miteinander so schwer fallen kann… Im Gegenzug
fällt mir aber auch jedes Mal wieder auf, was mir in Indien fehlt und schwer
fällt. – Man entwickelt sich mit jeder Reise weiter.
Sarah: Es gibt Phasen, bei denen man merkt, man kommt mit der Arbeit nicht voran, es sind aber vor allem Momente in denen man sich bewusst wird, dass man nicht ganz dazu gehört aber mit der gewohnten (deutschen) Herangehensweise auch nicht weiter kommt… Bei einer Feldforschung ist man sehr auf sich allein gestellt und es kann passieren, dass man von vielen Leuten umgeben ist, aber mit den aktuellen Problemen, „Wie komme ich an meine Gesprächspartner? Wo bringe ich mich sicher unter?“, doch alleine da steht. Manchmal ist man alleine, obwohl man unter Leuten ist – man kann den Leuten zuhause nicht ganz vermitteln was einem schwer fällt und steht auch in Indien oft vor Fragezeichen, wenn man versucht zu erklären. Die Herausforderung neben der Feldforschung ist eben doch dass man zwischen den Welten steht.
M&J: Und wie ist es für den Umkreis, wenn man ab und an zwei Monate weg ist?
Sarah: Für meine Familie ist das kein Problem, meine Schwester ist eine Adoptivschwester, sie ist in einer Familie in Nordindien geboren. Meine Mutter und meine Schwester fahren selbst manchmal nach Indien. Mit dem Partner ist es schwieriger, da wir in Deutschland natürlich auch ein anderes Zusammenleben gewohnt sind und das Telefonieren zwischen hier und Indien teilweise auch anstrengend sein kann, aber man bekommt das alles schon hin. Man merkt eben, dass man in zwei Welten ist, die unterschiedlicher nicht sein könnten, er im Labor, ich im letzten indischen Dorf bei den Jogapaps. Man steht zwischen den Welten, man entwickelt sich und verändert sich, erlebt krasse Sachen, da sind die Menschen zuhause geographisch aber auch in ihrem Alltag weit weg. Und trotzdem zieht es mich immer wieder nach Indien und ich liebe die Arbeit mit den Leuten im Dorf.
Das Interview führte Isabel Janitz
Bilder: Sarah Merkle-Schneider
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