Montag, 2. Juni 2014

Typisch Würzburg: Faszination Theater



Die ganze Welt ist eine Bühne!

Zumindest scheint es so, wenn man für einige Stunden die wenig spektakulären Kulissen des Alltags hinter sich lässt, um den verheißungsvollen Duft der Theaterluft zu schnuppern. In Anzug oder Abendkleid, ein Glas Sekt in der Hand, präsentieren wir uns dann von unserer besten Seite und unterstreichen schon mit unserem persönlichen Auftreten die besondere, ganz und gar außeralltägliche Atmosphäre eines solchen Theaterabends. Was sich abseits der Vorstellungen hinter den schweren Vorhängen zuträgt, ist für viele Besucher jedoch ein Geheimnis. Max & Julius hat einen Blick hinter die Kulissen gewagt und dabei eine spannende Parallelwelt entdeckt, die trotz ihrer Alltäglichkeit nichts von ihrem Zauber einbüßt.


Um mir ein näheres Bild von den Abläufen am Theater machen zu können, nahm ich an einer Sonderführung durch das größte Spielhaus Würzburgs, das Mainfranken Theater, teil.
Meine Begleiter entpuppten sich als ein Rudel Siebtklässler mit ihren beiden Lehrerinnen – ein Glücksfall, denn die Teenies scheuten sich nicht, unsere Führerin, die am Mainfranken Theater als Geigerin und Souffleuse tätige Cornelia Boese, mit Fragen zu bombardieren. Außerdem ließen sie es sich nicht nehmen, mir, der „Dame von der Presse“ nach alter Manier die Tür aufzuhalten, während ich noch mit Notizblock und Kamera hantierte.


 Vom Orchestergraben auf die Beleuchterbrücke


 Die „boese Souffleuse“ – die diesen Spitznamen ganz zu Unrecht trägt – entführte unsere kleine Gruppe von den Tiefen des Orchestergrabens in die (mehr oder minder) schwindelerregenden Höhen der Beleuchterbrücke und ermöglichte uns dabei einen völlig exklusiven Einblick in die Vorbereitungen auf das neue Ballettstück, „Dornröschen“, das wenige Tage später Premiere feiern sollte. Tatsächlich herrschte hinter der Bühne emsige Betriebsamkeit, ein Balanceakt zwischen Chaos und Struktur. Neue Kulissen wurden aufgezogen, die Technik noch einmal geprüft, ganze Wände herab- und wieder hinaufgelassen, Schauspieler eilten in spürbarer Hast durch das Treppenhaus. Dennoch gab uns niemand das Gefühl, im Weg zu sein, vielmehr wurde die Besuchergruppe ganz selbstverständlich in das Geschehen miteinbezogen. Die Schüler staunten über die Ausmaße der Hauptbühne, die sowohl dem Schauspiel als auch Musiktheater und Ballett dient, und lösten endlich auch ein unter Besuchern des Mainfranken Theaters vieldiskutiertes Rätsel – wie ist es eigentlich möglich, die unzähligen Glühbirnen der Deckenbeleuchtung zu wechseln? Die Antwort fanden sie auf der über dem Deckengewölbe schwebenden Beleuchterbrücke, dem Arbeitsplatz der Lichttechniker, die von dort aus die Lampen einfahren können.

Bei den Bühnenmalern

Ein Haus, viele Aufgabenfelder


Weitaus weniger hektisch ging es hinter dem Bühneneingang zu, wo wir den Maskenbildern einen Besuch abstatteten. Zwischen ausladenden Perücken, feinen Pinseln und dem ein oder anderen abgeschlagenen Kopf weihten sie uns in die Mysterien ihres Berufslebens ein – und die sind wesentlich vielfältiger als Schminken vor dem Auftritt. Die Maskenbildner fertigen sämtliche Perücken für die Stücke selbst – und das in mehrfacher Ausfertigung für die Erst-, Zweit- und Drittbesetzungen. „Die Haare stammen aus Asien und werden auf internationalen Umschlagplätzen etwa in Singapur gehandelt, ehe sie nach Europa kommen, wo sie anschließend bearbeitet und gefärbt werden.“ Da ich etwas zu interessiert mit den beiden Maskenbildnern plauderte, die mir erklärten, welche Perücken sie gerade für den „Kaufmann von Venedig“ fertigen würden, verlor ich kurzzeitig meine Gruppe, wurde jedoch heldenmütig von ihnen gerettet und in eines der Nebengebäude des Mainfranken Theaters geführt, wo ich die Klasse bei den Kostümschneidern wiederfand. Nicht nur die Mädchen waren fasziniert vom bunten Kleiderfundus des Theaters, wenngleich ein wenig entsetzt, als sie erfuhren, dass einige Kleider von den Schneidern wieder zerstört werden, sofern der Verlauf des Stücks für die Protagonisten eine - sagen wir - eher unvorteilhafte Wendung nimmt. Ähnlich radikal kann es auch bei den Bühnenmalern zugehen, denn auch diese können gezwungen sein, liebevoll gestaltete Kulissen wieder zu zerstören, um sie in die Handlung einzufügen.
In der Maske

In all den so unterschiedlichen Abteilungen war der Grundtenor derselbe: Ohne Teamarbeit läuft gar nichts am Theater, Zuverlässigkeit ist unerlässlich in diesem angeblich so schnelllebigen Betrieb – sei es nun im Zusammenspiel der Handwerker oder im Miteinander der Schauspieler.

Als Balletttänzerin in Würzburg

So betonte auch die Ballettänzerin Zoya Ionkina, die im Rahmen der Reihe „Ballett persönlich“ aus ihren Theatererfahrungen plauderte, das ausgeprägte Gemeinschaftsgefühl, das in Würzburg vorherrschen würde. In größeren Häusern wäre das sicher anders, aber für das Mainfranken Theater gilt: „Ein Konkurrenzkampf, wie er in Filmen wie Black Swan dargestellt wird, herrscht hier ganz sicher nicht.“ Die Ukrainerin kam 2008 in die Domstadt, seit 2010 gehört sie dem festen Ensemble an. Das hiesige Publikum hat das Talent der jungen Frau bald erkannt, schließlich wurde sie schon mit dem Würzburger Nachwuchspreis geehrt. Dass sie später einmal Tänzerin werden würde, stand für sie schon fest, als sie noch ein kleines Mädchen war. Bereits ihre Mutter war Ballettänzerin und unterstützte den Traum ihrer Tochter von Anfang an. Doch für diesen Traum musste sie auch Opfer bringen: Schon früh musste sie lernen, selbstständig zu werden, um Ballettschulen in Kiew und Österreich besuchen zu können. Gefühle der Einsamkeit verdrängte sie durch Zielstrebigkeit und Kreativität, schließlich nahm sie mit Begeisterung und beträchtlichem Erfolg an zahlreichen Wettbewerben teil. „Diese Wettbewerbe waren sehr wichtig für die persönliche und fachliche Entwicklung, aber auch für den Austausch mit anderen Tänzern“, resümiert sie heute. In Würzburg, dessen Truppe ihr von einem Studienkollegen empfohlen wurde, fühlt sie sich angekommen, denn die Choreographin und Ballettdirektorin Anna Vita gibt jeder Tänzerin und jedem Tänzer Raum für die persönliche Entfaltung. „Besetzungen werden nach den ganz individuellen Anforderungen der Rollen vergeben.“ Wohl auch ein Grund, warum es wenig Raum für Konkurrenzdruck gibt. Ihren nächsten Auftritt wird Zoya Ionkina, die neben ihrer Tätigkeit als professionelle Tänzerin auch noch Ballettstunden für Interessierte gibt, übrigens ebenfalls in „Dornröschen“ haben.


Für die Siebtklässler stand fest, dass sie unbedingt das Stück ansehen wollten, dessen Vorbereitungen sie soeben miterlebt hatten. Zu beobachten, wie sie ihre Lehrerin bedrängten, doch bitte bitte (!!) Karten zu organisieren, erfüllte mich mit einer gewissen Genugtuung, widerlegte ihre Begeisterung doch sämtliche Klischees von der angeblich so kulturfernen Jugend 2.0. Vielmehr kommt es darauf an, den Funken der Faszination für das Theater auch in der nächsten Generation zum Leuchten zu bringen – und dies ist Cornelia Boese an diesem Vormittag offenbar voll und ganz gelungen.

 
Text und Bilder: Katharina Stahl


Öffentliche Führungen „Hinter den Kulissen“ finden übrigens an jedem letzten Samstag im Monat statt, Gruppen können sich auch für Sonderführungen anmelden. Wer tiefere Einblicke in die Arbeit des Ballettensembles bekommen möchte, kann am 22. Juni um 17.30 Uhr Ivan Alboresi Fragen zu seinem Werdegang und zu seinen Erlebnissen am Theater stellen.

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