Sonntag, 16. Februar 2014

Von Strommästen und Ziegen – Künstlergespräch mit Kurt Fleckenstein im Kulturspeicher


Die Steinlamellen des Kulturspeichers werden geöffnet, doch was man sieht, entspricht nicht den Erwartungen
Bereits das Eingangsvideo beweist: Kurt Fleckenstein ist kein gewöhnlicher Künstler! Ein Stück Blumenwiese in einem antiken Goldrahmen,  eine lebendige Ziege, die an dem Werk vorbeikommt, es erst neugierig beäugt und sich dann freudig über das Grünzeug hermacht. Schmunzelnd kommentiert der Künstler, er arbeite eben gerne mit den „vielfältigsten Materialien“ – im wahrsten Sinne des Wortes! Der in Mannheim lebende Kreative scheut für seine genialen Installationen und Aktionen kaum Mühen; so ließ er beispielsweise einen echten Strommast abmontieren und als Kreuz in der Kunsthalle St. Annen in Lübeck, einer ehemaligen Klosterkirche mit kreuzförmigem Grundriss, wieder zusammenbauen – selbstverständlich samt Hochspannungssummton. Oder er verteilte zum 400. Jubiläum der Stadt Mannheim in einer Nacht-und-Nebel-Aktion 400 1m² große buntblühende Wiesenquadrate in der gesamten Stadt. Fleckenstein möchte mit seinen Projekten die Menschen irritieren und sie durch die Konfrontation mit seinen ungewöhnlichen, teils befremdlichen Werken zum Nachdenken bewegen. Nicht selten nimmt er dabei aktuelle Problematiken als Anstoß, die er  in seinen Projekten auf gesellschaftskritische und ironisch-bissige Weise künstlerisch auf die Spitze treibt. „Gefälschte“ Informationstafeln am idyllischen Fußwegs entlang des Mains in Aschaffenburg sollten die Bewohner glauben machen, der Fußweg würde in einem von der EU mitfinanzierten Projekt zur „Förderung der Wirtschaft“ zu einer zweispurigen Autofahrstraße umgebaut. Die Bäume könnten, um lästige Proteste der Bevölkerung wie bei Stuttgart21 vorwegzunehmen und Kosten zu sparen, bedauerlicherweise nicht verpflanzt werden, sondern sollten gefällt werden. Diese Bäume hatte der Künstler mit weißen Kreuzen markiert. Zum Erfolg der Aktion nur so viel: bis zum Abend hatten wütende Bürger, die die Ironie der Aktion nicht durchschauten, die Schilder abgerissen, besprayt, zertrampelt und protestierend das Rathaus belagert. Aber nicht nur aktuelle Themen beschäftigen den Künstler. In einem Video inszenierte er 2012, zur Zeit der Fußball-EM in Kiew, ein Fußballspiel zwischen Spielern in deutschen Trikots von 1941, auf denen  die Daten von Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufgedruckt waren und nackten Menschen, welche von den Fußballspielern gefoult wurden und dann leblos zu Boden fielen. Dieses Match ließ Fleckenstein in Babi Jar stattfinden, einer Schlucht, an der  1941 30.000 entblößte Juden von SS-Männern erschossen und anschließend in die Tiefe gestoßen worden waren. Es war dem Künstler ein persönliches Anliegen, die Erinnerung an diese grausame Bluttat wachzurütteln und ihr ein künstlerisches Denkmal zu setzen.
Auch der Würzburger Kulturspeicher darf sich momentan mit einer Installation von Kurt Fleckenstein schmücken. Die beiden langen Hauptgänge, die an ihren Enden mit Steinlamellen verkleidet sind, dienten dem Künstler als Inspiration: er wollte die Grenzen des Raums sprengen und den Blick nach „draußen“­ öffnen. Doch Fleckenstein wäre nicht Fleckenstein, wenn er nicht auch ein bisschen Verwirrung stiften wollen würde: anstatt des zu erwartenden Blicks wird dem Betrachter auf geschickt-subtile Weise ein in Originalgröße und Echtzeit aufgenommenes Bild von einer Kamera an der Außenfassade des Kulturspeichers präsentiert. Aber: die Kameras sind seitenverkehrt und in von den tatsächlichen Verhältnissen abweichenden Winkeln angebracht. So wundert sich der Besucher, warum er denn plötzlich die Leute aus dem Kino kommen sieht, obwohl sich das Kino doch eigentlich auf der anderen Seite des Gebäudes befinden sollte. Gleichzeitig wird über ein Mikrofon die Geräuschkulisse von draußen eingespielt, was die Illusion des offenen Raums noch verstärkt.
Bis 26. Februar haben Besucher noch die Möglichkeit, die originelle Installation im Kulturspeicher zu bestaunen. Weitere Informationen über den Künstler und seine Werke, sowie Videos seiner Aktionen und Installationen finden sich auf seiner Homepage, www.kurt-fleckenstein.com.


Text und Bild: Charlotte Auth

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