Freitag, 16. Mai 2014

"Es zieht einen doch immer wieder dorthin und man weiß manchmal gar nicht so genau warum"


Die Doktorandin Sarah Merkle-Schneider sprach mit Max und Julius über ihr Indologiestudium, ihre Indienfaszination und warum man manchmal zwischen den Welten steht.

 Max&Julius: Wie kam es überhaupt zum Indologie-Studium?

 Sarah Merkle-Schneider: Das ist eine gute Frage! Am Anfang stand vor allem Interesse, Faszination am Land und eine Art von – das hört sich jetzt etwas melodramatisch an –  Fernweh. Ich war immer sehr interessiert an allem außereuropäischen und als ich mir dann überlegt hatte, was ich alles studieren könnte gab es dann bei vielen Fächern etwas, bei dem ich dachte „nein, das interessiert mich doch nicht, interessiert mich doch nicht“. Bei Indologie habe ich mir dann gedacht, ich probiere das einfach mal aus, eine Freundin hatte mir davon erzählt, und ja, ich bin dabei geblieben.


Sarah Merkle-Schneider (rechts) forscht für ihre Promotion über Transgender-Identitäten in Indien


M&J: Was ist denn das Thema deiner Doktorarbeit?  

Sarah: Das Thema ist relativ speziell, es geht um Transgender-Identitäten, Mann zu Frau Transgender,  am Beispiel einer sehr kleinräumigen, im Norden Karnatakas angesiedelten Tradition. Das heißt, es geht um Personen, die in einem männlichen Körper geboren sind und sich aber in ihrer Pubertät oder im Laufe ihres Lebens weiblich identifizieren und schließlich in eine Art Verehrungsdienst für  die südindische Göttin Ellamma eintreten. Als Teil dieser Traditionen legen die Verehrer dieser Göttin dann weibliche Kleidung an, lassen sich die Haare lang wachsen und tragen Schmuck, wie eine indische Frau.  

M&J: Und das hat mit der Verehrung dieser Göttin zu tun?

Sarah: Genau, wenn man nachfragt wie das alles kam, bekommt man ganz viele Antworten, aber eine Antwort wiederholt sich immer wieder, nämlich dass die Göttin sie ausgesucht und „sie so gemacht hätte“.  Die Göttin fährt in sie ein, lässt sie weiblich fühlen und verhalten und fordert, dass diese Personen dann in ihren Dienst eintreten, sich initiieren lassen, und sie in einer priesterähnlichen Funktion besonders intensiv verehren und als Vermittler zwischen der Göttin und den nicht initiierten Verehrern eintreten.


Eine Figur der Göttin Ellamma, die die Transgender-Männer verehren


M&J: Und du erforschst wie es dazu kam oder wie kann man sich das vorstellen? 

Sarah: Mein Ausgangspunkt ist der ländlich geprägte Norden des südindischen Bundesstaates Karnataka, um es etwas platt zu sagen das Dorf, denn hier leben die meisten dieser sogenannten Jogappas oder Jogammas. Da es kaum historische Quellen zu diesem Thema gibt, basiert meine Arbeit vor allem auf Feldforschung und der Analyse von aktuellen Entwicklungen und Diskursen. Welche Diskurse finden beispielsweise in der global orientierten LGBT-community von Bangalore, Karnatakas Hauptstadt, statt und was passiert mit dem Selbstverständnis der religiös und ländlich geprägten Jogappas, wenn von Bangalore aus organisierte NGOs in Nordkarnataka arbeiten und ihre Erklärungen von transgender „mitbringen“; eine westlich „modern“ geprägte Erklärung kennt eben keine Göttin, die eine übergeordnete Macht ausübt. Das ist aber nur ein Aspekt unter vielen, die ich untersuche.


Sogar in Bussen findet man Figuren der Göttin Ellamma


M&J: Und nochmal eine ganz essentielle Frage: Warum überhaupt Promotion? 

Sarah: Ich muss ganz ehrlich zugeben, dass es das Thema ist, das mich reizt. Ich finde die Arbeit mit den Leuten vor Ort auch sehr bereichernd und es macht mir viel Spaß.

 M&J: Und welche Möglichkeiten bieten sich Absolventen der Indologie in Deutschland überhaupt?

Sarah: Unsere momentanen MA Absolventen sind zum Beispiel in Verlagen untergekommen, an Universitäten im Bereich Diversity Managment, auch im Bereich Tourismus als Reiseleiter, in Museen, klassisch wäre in der Forschung zu arbeiten. Sonst natürlich alles, was mit Interkulturalität, mit Kulturarbeit und Sprachen zu tun hat.

M&J: Gibt es eigentlich Freundschaften in Indien? 

Sarah: Vor allem während meiner Feldforschungsaufenthalten habe ich Kontakte und Freundschaften aufgebaut. Schön ist auch, wenn von indischer Seite auch Interesse an Deutschland besteht;  ein Freund aus Karnataka hat, anfangs rein aus Interesse, Deutsch studiert und mittlerweile häufig wegen seiner Arbeit für Mercedes nach Deutschland, das ist immer sehr nett. Die Freundschaften, die sich auf Dorfebene ergeben, sind natürlich ganz andere; vor allem wenn ich in Deutschland bin, ist es ein Spagat, den ich hinlegen muss, um die Kontakte aufrecht zu erhalten. Im Dorf, die dortige Vorstellung von der Welt ist doch schon sehr anders. Aber es ist mir wichtig diese Freundschaften aufrecht zu erhalten. 

M&J: Hast du dir etwas aus Indien mitgenommen? 

Sarah: Das ist sehr vielfältig gerade, wenn man nicht als Tourist dort hin fährt. Ganz augenscheinlich sind die Dinge im Alltag: Gewürze in der Küche, kleine Götterfigürchen. Was aber Entscheidender sind aber persönliche Entwicklungen die man vor allem während Feldforschungsaufenthalten durchmacht, aber auch die Fähigkeiten, die man mitnimmt: man wird unkomplizierter, flexibler, entwickelt vor allem während der Feldforschung ein gewisses Selbstbewusstsein ohne welches man in Indien oft aufgeschmissen wäre, man lernt in verschiedensten, oft extrem fremden Gruppen zu kommunizieren, versteht besser welche Probleme Inder hier in Deutschland mit der hiesigen Mentalität haben und warum ein soziales Miteinander so schwer fallen kann… Im Gegenzug fällt mir aber auch jedes Mal wieder auf, was mir in Indien fehlt und schwer fällt. – Man entwickelt sich mit jeder Reise weiter. 

M&J: Und was fehlt in Indien? 

Sarah: Es gibt Phasen, bei denen man merkt, man kommt mit der Arbeit nicht voran, es sind aber vor allem Momente in denen man sich bewusst wird, dass man nicht ganz dazu gehört aber mit der gewohnten (deutschen) Herangehensweise auch nicht weiter kommt… Bei einer Feldforschung ist man sehr auf sich allein gestellt und es kann passieren, dass man von vielen Leuten umgeben ist, aber mit den aktuellen Problemen, „Wie komme ich an meine Gesprächspartner? Wo bringe ich mich sicher unter?“, doch alleine da steht. Manchmal ist man alleine, obwohl man unter Leuten ist – man kann den Leuten zuhause nicht ganz vermitteln was einem schwer fällt und steht auch in Indien oft vor Fragezeichen, wenn man versucht zu erklären. Die Herausforderung neben der Feldforschung ist eben doch dass man zwischen den Welten steht.

M&J: Und wie ist es für den Umkreis, wenn man ab und an zwei Monate weg ist?

 Sarah: Für meine Familie ist das kein Problem, meine Schwester ist eine Adoptivschwester, sie ist in einer Familie in Nordindien geboren. Meine Mutter und meine Schwester fahren selbst manchmal nach Indien. Mit dem Partner ist es schwieriger, da wir in Deutschland natürlich auch ein anderes Zusammenleben gewohnt sind und das Telefonieren zwischen hier und Indien teilweise auch anstrengend sein kann, aber man bekommt das alles schon hin. Man merkt eben, dass man in zwei Welten ist, die unterschiedlicher nicht sein könnten, er im Labor, ich im letzten indischen Dorf bei den Jogapaps. Man steht zwischen den Welten, man entwickelt sich und verändert sich, erlebt krasse Sachen, da sind die Menschen zuhause geographisch aber auch in ihrem Alltag weit weg. Und trotzdem zieht es mich immer wieder nach Indien und ich liebe die Arbeit mit den Leuten im Dorf.

Das Interview führte Isabel Janitz
Bilder: Sarah Merkle-Schneider

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