Mittwoch, 13. August 2014

Max & Julius Sommerlesetipp #2: Nullzeit von Juli Zeh

Fesselnd und abrgrundtief
Juli Zehs Nullzeit wird zum beklemmenden Rätsel um Lüge und Wahrheit

Fesselnder Psychothriller über eine verhängnisvolle Dreiecksbeziehung
 
 Taucht man mit einem Druckluftgerät, wird der Stickstoff in der Atemluft vom Gewebe und dem Blut des Tauchers aufgenommen. Umso höher die Tauchtiefe und somit der Umgebungsdruck, umso mehr Stickstoff löst sich im Körpergewebe. Kommt der Taucher zu schnell an die Oberfläche zurück, hat dies den gleichen Effekt, wie bei einer geschüttelten Mineralwasserflasche, die geöffnet wird. Der Tod kann Folge sein.
Die Nullzeit ist die Zeitspanne, die ein Taucher unter Wasser bleiben und anschließend ohne Pause zurück an die Wasseroberfläche kehren kann. Den Namen dieses Phänomens trägt Juli Zehs Roman Nullzeit.

Seltsame Charaktere

Die Schauspielerin Jolante Augusta Sophie von der Pahlen, die lieber Jola genannt werden möchte, ist mit ihrem Lebensgefährten Theo Hast nach Lanzarote gekommen, um sich auf ein Casting vorzubereiten. Sie möchte die Rolle der Lotte Hass bekommen, der berühmten Tauchpionierin, und sieht dies als letzte Chance, sich im Spielfilmbusiness zu etablieren. Theo ist Schriftsteller. Veröffentlicht hat er schon lange nichts mehr.  Auf Jola sieht er herab, behandelt sie schlecht. Sie ihn aber auch. Ein seltsames Paar, bei dem keiner so richtig durchsteigt.
Sven, gescheiterter Jurist – und zwar nicht an schlechten Noten, sondern an boshaften Professoren – lebt gemeinsam mit Antje auf der Insel. Die beiden führen eine Tauchschule und ein ruhiges Leben – bis Jola und Theo auftauchen. 14.000 Euro zahlen sie Sven für eine Rundumbetreuung. Nicht nur Tauchunterricht gibt es dafür, sondern auch 24/7 Chauffeurservice, Inselführungen und Abendbegleitung inklusive.

Folgenschwere Dreiecksbeziehung

Aus einem harmlosen Flirt Jolas mit Tauchlehrer Sven entwickelt sich eine folgenschwere Dreiecksbeziehung. Der hat Deutschland verlassen und will sich nicht in fremde Probleme einmischen. Das klappt bei dem irren Künstlerpaar so nicht. Nun wird er in einen Strudel aus Wahrheit und Lügen, Tätern und Opfern hineingezogen, gegen den er nicht mehr ankommt. Ein mörderisches Spiel, in dem er vom Zeugen zum Mitschuldigen wird, nimmt seinen Lauf.

Ein beklemmendes und kaltes Gefühl bleibt

Geschickt stellt Juli Zeh die Erinnerungen des Tauchlehrers Sven den Tagebucheinträgen Jolas gegenüber. Was sich anfangs noch die Waage hält, wird für den Leser zum großen Rätsel um Wahrheit und Lüge. Immer mehr driften die Berichte von Jola und Sven auseinander, bis am Ende kein einziges Detail mehr zueinander passt. Man stellt sich unweigerlich die Frage, wer der beiden sich seine Lügen zusammenfantasiert und wer die Ereignisse unverfälscht wiedergibt. Automatisch wird der Leser auf eine Seite gezogen, doch am Ende ist man sich auch hier nicht mehr sicher, ob man dem Richtigen Glauben geschenkt hat. Der Roman lässt ein beklemmendes und kaltes Gefühl zurück, wie es typisch für die Autorin ist.

Geschickte und durchdachte Komposition

Juli Zeh hat hier einen fesselnden und aufregenden Roman vorgelegt, der durch seine geschickte und durchdachte Komposition besticht. Ist man erst einmal über den Wendepunkt der Geschichte hinaus, fällt es schwer ihn wieder niederzulegen. Die Neugierde, die von einem unguten Gefühl getragen wird, lässt dem Leser keine Ruhe und treibt ihn zum Weiterlesen an. Nicht verwunderlich also, wenn man alles um sich herum stehen und liegen lässt, um den Ausgang der kuriosen Dreiecksbeziehung zu erfahren. So ganz zufrieden lässt das Ende einen aber nicht zurück. Noch eine Weile wird man über das Gelesene nachdenken und sich die Frage nach der Wahrheit stellen.
Ganz typisch für die Autorin werden auch in Nullzeit wieder Chaos und Ordnung gegenüber gestellt. Bekannt ist diese Konstellation bereits aus Romanen wie Spieltrieb oder Corpus Delicti. Die beiden Antagonisten stehen im krassen Gegensatz und der Roman stellt wie gewohnt Fragen zu Neuaufbau von Sinn und Moral, wenn tradierte Werte zur Bedeutungslosigkeit geworden sind.

Die Juristin kann es nicht lassen

Wie auch andere Werke von Juli Zeh ist Nullzeit von Juli Zehs Werdegang geprägt. Bei der politisch engagierten Juristin, die ihr literarisches Zweitstudium in Leipzig absolvierte, werden immer wieder rechtliche Problematiken zum Thema gemacht. Auch hier, wo man es eigentlich nicht mehr erwartet, überrascht das Ende nicht nur mit einem Mord, sondern auch mit dessen etwaigen juristischen Konsequenzen. Hieraus resultiert letzten Endes auch die spannende Form der Gegenüberstellung von Tagebucheinträgen und Erinnerungen. Juli Zeh kann einfach nicht von ihrer juristischen Denkweise lassen. Das tut diesem fesselnden und abgrundtiefen Werk jedoch keinen Abbruch.
 
Text: Beatrice Kennepohl
Bild: Schoeffling & Co Verlag

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